Archiv der Kategorie: Diary

24.8.2022

Nr. 70: Beschissen.

Es ist beschissen. Alles. Die Gegenwart, die von Wahnsinn und Dummheit geprägt ist, von multiplem Systemversagen, dem Untergang unserer demokratischen Institutionen, der Ohnmacht, der Abkoppelung der Machthabenden vom Rest der Bevölkerung; von multiplen Krisen: Corona-Pandemie, Teuerung, Klimawandel (+ Unwetter, Überschwemmungen..), Energiepreisexplosion, kommender Energiekrise im Winter….

Das sind die Tatsachen. Voraussetzung für eine Änderung an der unaushaltbaren Situation wäre, sie anzuerkennen und klar zu benennen. Wer macht das noch? Wer macht das nicht? Unsere Politik. Einer Truppe von Versagern, der inzwischen alles egal ist, allem voran die Bevölkerung. Es ist unfassbar und unaussprechlich und das Fehlverhalten dieser Regierung des Wegschauens, Kalmierens, Lügens, der Weltfremdheit muss eigentlich dazu führen, ihre Legitimität nicht mehr anzuerkennen.

Jede Beziehung und Abhängigkeit basiert auf Gegenseitigkeit: Der Staat etwa erlässt Gesetze und bietet dem Bürger Schutz, dafür hält sich der Bürger an gegebene Gesetze. Wenn nur der Staat seiner Schutzfunktion nicht mehr nachkommt und den Bürger mit seinen Problemen – die der Staat noch dazu zu gewissem Ausmaß selbst verursacht! – alleine lässt, warum sollte der Bürger seinem Teil der Vereinbarung nachkommen?

Es wird dazu führen, dass das System als solches komplett zusammenbricht, dass Menschen sich gewaltvoll erheben und die Regierung in der einen Form oder anderen stürzen. Das ist kein Alarmismus, sondern simple systemische Logik. Ein System, das nicht mehr funktioniert, das von innen zerfressen wird und das es nicht mehr braucht wird über kurz oder lang sterben. Die Frage ist, ob man das will – und ob das, was danach kommt, besser ist. Viele Kriege begannen nach diesem Muster, die Machtübernahme Hitlers war nur möglich, da sich das davor herrschende System selbst aufgegeben hatte. Es ist nicht zwingend zu erwarten, dass der Mensch seither klüger geworden ist – der erste, der kommt und sagt, er werde alle Probleme lösen, der Schuldige ausmacht und verspricht, mit ihm würde alles besser, er wird voraussichtlich die Macht übernehmen und die Demagogie fortsetzen, die bereits jetzt zu sehen ist.


Was kann die aufgeklärte Gesellschaft dagegen tun? Nur mehr wenig, vermutlich.

Unerträglich ist die Situation für alle.

Kann man sich als Individuum „retten“, in Sicherheit bringen, einen Ausweg finden? Kann man. Aber es ist nicht einfach, da man sich von allen Verbindungen zum System kappen müsste. Muss man auch, wenn man nicht mit dem System untergehen will. Aber es ist schwer und macht einsam. Die einzige Hoffnung, die bleibt, ist der Zusammenschluss vernünftiger, solidarischer, aufgeklärter und mutiger Bürger, die etwas Anderes, Neues erschaffen.

Alkohol oder Psychopharmaka?

Nr. 69 – 11.7.2022

Soll man sich zur aktuellen Lage noch äußern? Sich Gedanken machen? Auswege suchen? Daran verzweifeln? Aufgeben? Ich weiß es auch nicht, weil alles mühsam erscheint und deprimierend und es wenige Lichtblicke gibt in dieser Dauerdunkelheit, die nicht auf Verdrängung gründen würden.

Während die Corona-Zahlen erstmals nach 2 relativ Corona-freien Sommern auch in der heißen Jahreszeit hoch sind und wohl noch weiter steigen werden, wollen Regierungen (Außnahme: Wien) nichts davon oder möglichen neuen Maßnahmen oder Adaptionen bei der Pandemiebekämpfung wissen, sondern erklären diese für „beendet“. Sie fordern, man müsse nun eben „mit dem Virus leben“, ohne vernünfte Vorschläge zu geben, wie denn das gehen sollte. Und fordern, man müssen den „Krisenzustand beenden“, als würde sich das Virus von solchen Wortmeldungen beeindrucken lassen und einfach verschwinden.

Ich stelle es mir interessant vor, wenn solche Politiker, Medienmenschen, Menschen überhaupt dann vor Familien stehen, die Angehörige verloren haben; vor Betroffenen, die nach Jahren noch Post Covid-Folgeschäden haben, keinem normalen Alltag oder keiner Arbeit mehr nachgehen können; vor (ehemals) schwer Infizierten oder jenen, die wegen Long Covid wochen- und monatelang in ihrem Leben eingeschränkt waren (ca. 20-30% aller Infizierten!). Oder den Ärzten und Pflegern in den KH, auf den Stationen, die nun teilweise wieder geschlossen werden müssen, die seit 2.5. Jahren im Dauerkrisenmodus sind und nicht mehr können; denjenigen, die wegen der Überlastung des Gesundheitswesens keine Behandlung mehr (wegen Corona oder irgendwas anderem) bekommen. Wenn diese Schlauberger vor diesen Menschen stehen und ihnen sagen „also echt, wir müssen den Krisenmodus jetzt endlich mal beenden“.

….und es ist ja nicht die einzige Krise: Putins Überfall auf die Ukraine wäre für sich genommen schon ein einschneidendes Ereignis, eine „Zeitenwende“, die noch viel mehr Staub aufwirbeln würde, aber in dem Tornado oder Hurrikane aus Dauerkrisen geht dieses Drama inzwischen langsam auch unter. Der WKO-Präsident fordert bereits, man müsse über die Sanktionen nachdenken, die wären nicht klug (weil sie auch der heimischen Wirtschaft schaden). Er wäre damals vermutlich auch für Verhandlungen mit Hitler oder Stalin gewesen. Tausende Menschen starben und sterben und es kümmert uns nur insofern, als bei uns alles teurer wird. Und auch das ist schlimm und kann sich zur nächsten Tragödie auswachsen, insb. im Herbst/Winter, wo möglicherweise wegen Energieknappheit ganze Industrien ausfallen werden. Unsere Versorgungssicherheit infrage gestellt ist. Und wir im schlimmsten Fall ohne Heizwärme dastehen, frieren müssen, Zustände erleben werden, die niemand von uns auch nur im Ansatz kennt. Und dazu und oberdrauf dann noch eine weitere Corona-Welle. Zu erwarten ist ein Winter, der noch um einiges schlimmer werden wird als die letzten beiden.

Was macht also die Politik? Nichts. Der Kanzler aus Österreich empfiehlt „Alkohol und Psychopharmaka“, wenn „wir“ (damit meint er wohl die Regierung selbst) „so weitermachten“ (also nichts tun). Manchmal sind solche unbedarften Scherze und flapsigen Äußerungen schon recht entlarvend: Der Kanzler weiß, dass er nichts weiß, keine Antworten hat, auch keine Hoffnung mehr, welche zu finden und stellt die Menschen – scheinbar im Scherz – darauf ein, was wohl für viele tatsächlich die einzige Lösung sein wird. Auch eine Form eines freudschen Versprechers, unfreiwillig vieles offenbarend. Die Realität ist ein kolossales multiples (Polit-)Systemversagen und das „System“ (die politischen Institutionen etwa) scheitern vor unseren offenen und verzweifelten Augen daran, Lösungen zu finden und sich zu reformieren, an die neuen Realitäten anzupassen.

In diesem Kontext ist es natürlich kein Wunder, dass inzwischen eine Mehrheit der Menschen nichts mehr von all dem hören oder wissen will, nichts mehr glaubt, das „die da oben“ sagen, sich abwendet, verdrängt oder sich gar anderswo „informiert“. Diese Realität ist kaum noch erträglich und Scheinrealitäten und Verschwörungstheorien bieten kurzfristige Erleichterung, in kleinen Dosen oder in völliger Hingabe. Beispiel Pandemie: Äußerungen, die vor 2 Jahren als vollkommener Humbug, Schwachsinn, Irrsinn und Geschwurbel galten sind inzwischen nicht nur mainstreamfähig, sondern Mainstream, selbst Politiker oder führende Medien sprechen inzwischen von „Corona-Panikmache“ und dass das alles ja nicht mehr so schlimm sei. Ja, es ist nicht gleich wie 2020, es ist anders als vor 2 Jahren – aber gleich schlimm (Stichwort Long Covid, „Massendisabling“).

Diese Äußerungen sind Ausdruck völliger Überforderung und Verdrängung. Der Mechanismus ist wohlbekannt und in der Psychologie gut erforscht. Was nicht sein darf, kann nicht sein. Augen zu und durch. Und danach will dann niemand etwas gesehen oder gewusst haben. Im „besten“ Fall führt das zur emotionalen Abstumpfung, sozialen Disruption und zum Verlust von Empathie und Solidarität (bereits sichtbar); im schlimmsten Fall zum Verlust der Gemeinschaft ihres Realitätssinns, ihres Wahrheitssinns, der Wahrheit an sich. Wir sind am besten (schlechtesten) Weg dorthin.

Warum ist es wichtig, sich dagegen zu wehren? Weil die Lüge der Anfang allen Bösen ist. „The genesis of evil“. Wer sich selbst belügt, belügt irgendwann andere, lügt über das, was er denkt, will, tut, tat, tun will, möchte, wünscht. Jede Neurose ensteht aus Selbstverleugnung und Verdrängung, sowohl auf individueller, als auch auf kollektiver Ebene. Und die Neurose wird umso größer und monströser, je mächtiger die Lüge und Verdrängung, der langfristige Schaden umso größer, je länger es andauert. Wie konnte Hitler (und Konsorten) passieren? Ebenso.

Was bleibt uns also noch? Nichts, außer die Dinge zu benennen, sie zu sehen und anzusprechen, wie sie sind, so schmerzhaft das für uns (und andere) auch sein mag: Die Wahrheit. Denn am Ende obsiegt sie immer.

2022: A Covid Story – Ein persönlicher Erfahrungsbericht

Ich weiß eigentlich nicht, warum ich gerade jetzt den Einfall hatte, hier wieder einmal etwas zu schreiben. In den letzten Wochen hatte ich die Idee dieses Blogs und sein Fortbestehen schon verworfen, da ich absolut keinen Sinn mehr darin sah. Ich wollte vor einer Weile ja eigentlich recht kluge Überlegungen und philosophische Gedanken darstellten und einen „Ausweg aus der Krise“ vorzeichnen. Dann wurde ich krank.

Anfang April wurden viele Personen in meinem nahem Umfeld positiv auf Corona getestet. Mit dem ursprünglich Infizierten, einem Schuljungen aus der Familie, hatte auch ich wenige Tage davor Kontakt gehabt. Meine Freundin und ihr Sohn noch näheren Kontakt als ich. Ich machte mir zuerst keine großen Sorgen, da ich ja 3-fach geimpft war, die letzte Impfung lag da erst 1.5 Monate zurück, ich sollte also nichts zu befürchten haben, zumal ja immer die Rede davon war, wie harmlos diese nun vorherrschende Omikron-Variante doch wäre. Anstatt mich von meinem direkten Umfeld abzusondern, um einer möglichen Infektion vielleicht nochmal aus dem Weg zu gehen, nahm ich es (überraschend) locker und meinte, man könne nun eh nichts mehr machen, wenn es denn so ist (da ich auch zu meiner Freundin die Tage davpr engen Kontakt hatte, war es vermutlich wirklich schon zu spät und Absondern von ihr hätte keinen Sinn mehr gehabt).

Wie auch immer, ich sagte Anfang April aus dieser Situation heraus einen ohnehin bereits unsicheren beruflichen Trip endgültig ab und ließ auf mich zukommen, was kommen sollte. Am Freitag hatte ich erste Symptome, leichte Erschöpfung, ein Kratzen im Hals, etwas Husten. Die Schnelltests waren weiter negativ, aber das musste nichts heißen, auch bei später positiv Getesteten im Umfeld war es so gewesen. Es war unklar, was nun galt, da aber auch meine Freundin und ihr Sohn ähnliche Symptome hatten, zur selben Zeit, war es sehr, sehr wahrscheinlich, dass auch wir Corona-infiziert waren.

Ich nahm eine Boxagrippal-Tablette und fühlte mich danach um einiges besser und hatte das Gefühl, das Ganze würde eher spurenlos an mir vorbeiziehen. Die Arbeit für den geplanten beruflichen Trip (Besuch eines Filmfestivals) machte ich von zuhause aus, sofern möglich, da ich mich halbwegs fit fühlte und da man ja immer wieder von Politikern und andeen Personen der Öffentlichkeit hörte „milde Symptome, arbeitet von zuhause aus“ dachte ich mir, kann nicht schaden, und tat es ebenso.

Auch am Samstag waren die Symptome eher mild. Ich hatte wenig Lust auf Arbeit, was v.A. auch viele psychologische (Hinter)Gründe hatte, zwang mich schließlich aber dazu, damit zu beginnen: Fehler Nummer 1. Ich bin sich recht sicher, wenn ich mich dieses WE Anfang April geschont hätte, wäre es mir danach schneller wieder gut gegangen. Das Dilemma hatte aber auch damit zu tun, dass es hier in Deutschland, wo ich mich zu dem Zeitpunkt aufhielt, unmöglich ist/war, sichere Auskunft zu bekommen, ob man nun infiziert war. Meine Schnelltests waren weiter negativ, PCR-Tests waren aber auch bei Symptomen nur bei Selbstzahlung (bis zu 100 €!) möglich. Niemand konnte einem sagen, wo man hingehen sollte oder konnte, wer helfen könnte. Es interessierte niemanden. Pandemie ja vorbei, schon vergessen? Und ohne positiven Schnelltest: Kein PCR-Test. Eine unfassbare Katastrophe.

Aus dieser Ungewissheit heraus übertrieb ich es noch mehr: Ich dachte mir, OK, ich gehe mal davon aus, dass ich infiziert bin. Kann aber auch sein, dass nicht, weil Schnelltests ja negativ. Anyway, ich habe kaum Symtome, und wenn Politiker und andere trotz Infektion arbeiten können, kann ich das auch. Also: Keine Schonung, voller Einsatz. Bis SO Abend ging das gut. Ich merkte, dass mir alles zu viel wurde, dachte aber nicht daran, etwas zu ändern. Fehler Nummer 2. Immerhin ist es doch nur Omikron, oder?


Am folgenden Montag bekam ich die Rechnung für meine Gutgläubigkeit, meine Ungeduld, die Ungewissheit präsentiert: Atemnot, von der Früh weg, Erschöpfung, Benommenheit. Angst, riesige Angst, zum einen aufgrund der Zustände, zum anderen löste diese Situation in mir Dinge aus der Vergangenheit aus, die hochkamen und diese Angst weiter verstärkten. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Ich war mir nun sicher, dass es Corona war. Ich hatte Angst zu sterben. Zu ersticken. Ich konnte mich kaum bewegen. Meine Freundin, der es da etwas besser ging, sah das und wollte mich ins KH bringen. Ich wehrte mich, aus Trotz: „Es ist gewünscht, dass es mir so geht, wenn mir was zustößt, mir egal.“ Ihr war das natürlich nicht egal.
Es wurde im Lauf des Tages nicht besser, am Nachmittag willigte ich ein, zumindest zum Arzt zu fahren. Doch unmöglich, hier als „Ausländer“ (Österreicher in D!), als EU-Bürger mit europäischer Versicherungskarte, die einem medizinische Behandlung EU-weit sicherstellen sollte, einen Termin irgendwo zu bekommen. „Am Abend kommt vl. jemand vorbei, wenn sie schwere Symptome haben.“ Aha.

Schließlich fanden wir eine Praxis, die mich anschauen wollte. Das Gefühl am Weg dorthin werde ich nicht vergessen: Völlig benommen, schwach, hilflos, ohnmächtig, erschöpft, teils mit Atemnot…ich schaute aus dem Fenster des Autos und wusste nicht, ob ich das überleben würde. Körperliche Beschwerden paarten sich mit Angst und Erinnerungen, die zu einem schrecklichen Zustand verschmolzen. Ich kann mich nicht erinnern, wann es mir in den letzten 10, 20 Jahren jemals so schlecht gegangen war. Mir fällt auf, dass es mir schwer fällt, all das zu schildern, zu beschreiben, diese Gefühl noch einmal zu durchleben. Aber es ist nötig, um dieses Trauma hinter mir zu lassen.

Beim Arzt fühlte ich mich erstmal etwas besser, was darauf hindeutet, dass Angst auch eine bedeutende Rolle spielte. Die Lungenfunktion bzw. die Werte schienen normal, allerdings meinte die Ärztin, dass dieses Gefühl der Atemnot relativ üblich bei Corona-Infektionen sei und das, was ich beschreibe, sehr darauf hindeutet, dass es eine ist. Dass die Schnelltests gerade bei 3-fach Geimpften auch bei Infektion negativ sind, sei übrigens nicht ungewöhnlich, meinte sie. PCR-Test machte sie trotzdem keinen, sie ließ auch keinen anordnen. Mein bzw. unsere Infektionen würden nie in offiziellen Statistiken aufscheinen. Schaut auch besser aus, nicht? Ich bekam einen Spray zum Inhalieren für die Lunge verschrieben und hatte nun ziemlich sichere Gewissheit, dass ich mit Corona infiziert war.

Die folgenden Tage waren ein Auf und Ab: Mit dem Spray wurde die Atemnot etwas besser, wenn ich ruhig zuhause saß und mich nicht bewegte, ging es ganz OK. Aber bei etwas Bewegung, nur einigen Schritten gehen kam sofort die Erschöpfung. Ich arbeitete trotzdem nebenbei weiter, nicht so viel wie am WE davor, aber sicher auch ein Fehler. Ich hätte mich schonen sollen, müssen.

Zudem begann ich extrem früh wieder mit Bewegung und Sport: Nach 4, 5 Tagen ging ich das erste Mal spazieren. Ich musste nach 20, 30 Schritten jedes Mal Pause machen, stehen bleiben, warten, atmen.


Einige Tage später versuchte ich, „normaler“ zu gehen, schneller zu gehen. Schrittweise wurde es besser. Ich versuchte auch, ein bisschen zu joggen, sehr früh im Nachhinhein betrachtet, aber dabei habe ich mich nicht überlastet. Step by step konnte ich meinen Bewegungsradius wieder ausdehnen, die nötigen Pausen während des Gehens (das immer ca. 15, 20 min. dauerte) wurden kürzer, weniger, nicht mehr nötig, normales Gehen bis hin zu schnellem Gehen war wieder möglich. Dazwischen ein paar Schritte joggen auch. Ich denke nicht, dass diese überschnelle Rückkehr zu körperlicher Betätigung bzw. Sport nötig war. Ich wollte mir aber ständig beweisen, dass es mir besser geht, dass ich wieder gesund würde, dass mir diese Einschränkung „nicht bleiben würde“. Es war eine immense, riesige Angst, die immer noch da ist: Die Angst davor, gesundheitlich, körperlich geschädigt zu sein – und zu bleiben. Durch die Bewegung wollte ich das kompensieren, mir zeigen, „ich bin wieder da“, „ich bin wieder gesund“, „es ist weg“.

Ich glaube nicht, dass diese frühen „Gehversuche“ mir geschadet haben, da sie zwar immer ganz hart an der Belastungsobergrenze waren, ich aber sehr darauf achtete, mich nicht zu überlasten. Etwas mehr Geduld dabei hätte wohl trotzdem nicht geschadet.


Nach ca. 1 Monat versuchte ich es wieder mit dem Radfahren, meiner Passion, also koordinierter, dauerhafter und stärkerer körperlicher Belastung. Erst nur eine kurze Strecke, langsam, vorsichtig, auf der Ebene, ohne Überlastung. Es ging. Ich übte weiter und steigerte langsam das Tempo, auch das ging gut.

Dann aber kam der Rückschlag: Aus dem Gefühl heraus, dass es immer besser wurde (was ja so war!) übertrieb ich es. Ich wollte wieder Radfahren, wie vor der Infektion, bergauf, bei voller Belastung. Wenn man von gewissen Menschen aus dem Umfeld das Signal bekommt, das wäre alles ohnehin nur „psychisch“ und halb so schlimm, verlässt man sich gern auf das, was wie die bessere Alternative klingt, nämlich dass das alles nun eh vorbei sei und man wieder gesund. Während des Fahrens ging es halbwegs, wobei ich auch da teilweise schon Überlastung spürte, sie aber ignorierte: Ist ja nur psychisch! Zuhause kam der Zusammenbruch: Völlige Erschöpfung. Dazu wieder diese Angst, dass das nun so bleiben würde, für immer. Ich hatte mir nicht beweisen können, dass es immer bergauf geht, als Perfektionist und Kontrollfreak kann ich nicht mit Rückschlägen umgehen und damit, wenn etwas nicht läuft, wie geplant. Zur Angst kam Niedergeschlagenheit und Depression, ich brauchte 1,5 Tage, um mich zu erholen. Das war vor 3 oder 4 Wochen (ich weiß es nicht mehr genau) gewesen. Danach musste ich wieder von Neuem beginnen: Die alte, kürzere Distanz, erst langsam, langsam schneller. Nach 4, 5 Tagen ging es wieder halbwegs. Ich hatte mich erholt, hatte gesehen, dass es mir „nicht bleibt“ und dass diese Rückschläge wohl dazu gehören. Aber mir nicht mehr passieren würden.

Es passierte wieder, vor 2 Wochen: Ich hatte es nicht übertrieben, aber war zuhause so frustriert, dass es nicht schneller geht, dass ich nicht schon längst wieder fit bin, dass ich in tiefste Depression und Angstzustände verfiel. Ich wollte nicht mehr leben, nicht SO. Nicht so!

Meine Freundin war für mich da und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Dank ihr fand ich wieder aus dem Loch heraus und schöpfte neue Hoffnung. Am nächsten Tag ging ich weider radfahren, mit der Verzweiflung im Bauch und voller Wur fuhr ich los, das erste Mal wieder länger bergauf, schneller (das, was 2 Wochen davor noch zum Crash geführt hatte) und siehe da: Es klappte! Mir ging es danach körperlich gut und ich war motiviert und guten Mutes, dass es so vorangehen könnte.

Vor einer Woche kam ein weiterer Rückschlag, weil ich es wieder übertrieben hatte. Ich ignorierte Signale, fuhr zu weit und zu schnell, der nächste Crash. Wieder ein halber Tag zur Erholung, danach Frust, Wut, Depression und riesige Ängste: Was, wenn es bleibt? Ich weiß nicht, woher diese Angst kommt, von wem, warum sie so stark ist. Ich vermute aus der Kindheit und aus Erfahrungen dort in meinem Umfeld. Die Inakzeptanz von „Schwäche“, Zeichen von „Krankheit“. Ich kann mit Rückschlägen also nicht umgehen, habe es nie gelernt und bestrafe mich selbst dafür, wenn etwas nicht klappt, wie ich will. Ich weiß, dass mir das im Weg steht und vieles erschwert. Anstatt zu sehen, dass es mir schon viel, viel besser geht als noch vor wenigen Wochen, dass ich fast alles wieder tun kann und sogar Sport wieder möglich ist (was bei anderen oft monatelang unmöglich ist, auch bei „milder Infektion“ davor) sehe ich nur das, was zur „Perfektion“, zum „Grundzustand“ vor der Infektion fehlt, dass ich körperlich nicht „einwandfrei“ bin und bin unzufrieden, solange das so ist. Das ist höchst ungesund und ich weiß es.


Gestern war ich wieder radfahren, ich strengte mich sehr an und es ging gut, am Nachmittag hatte ich einen Durchhänger, ich konnte aber verhindern, wieder in ein tiefes Loch aus Depression und Hoffnungslosigkeit zu fallen und schonte mich. Danach ging es mir wieder besser und am Abend richtig gut. So kann es weitergehen. Langsam wieder Vertrauen in mich und meinen Körper fassen und auch seine Schwächen akzeptieren und annehmen. Auf das blicken, das geht, was gelungen ist, dass es mir um ein Vielfaches besser geht, körperlich, als zu Beginn. Dass diese äußerst lange Genesungszeit (1-2 Monate) nicht unüblich ist, sogar bei „mildem“ Verlauf. Bis zu 50% aller Infizierten zeigen noch Monate (oder Jahre!) nach der Infektion Long Covid-Symtome, wie eine erste Studie aus München belegt. Dass das gesellschaftlich, gesundheitspolitisch, politisch, wirtschaftlich, psychologisch, sozial eine riesige Katastrophe ist, ein Skandal sondergleichen, der erst durch das leichtsinnige, fahrlässige und kriminelle Handeln der Regierungungen hervorgerufen wurde, durch Lügen, falsche Kommunikation, Verdrängung, Aufgabe, Desinteresse und völliger, absoluter Unfähigkeit, die die politische Legitimation der Verantwortlichen in Frage stellt, ist eine andere Sache. Das Versagen und die Gründe dafür sind offensichtlich, große Teile der Experten und der Wissenschaft warnen seit Wochen, Monaten vor genau dieser Entwicklung, sagten sie voraus, forderten Umdenken und Handeln der Politik.

Doch die Politik hat aufgegeben, aus Überforderung, und verkaufte diese vernichtende Niederlage ihrer Gestaltungskraft als „Sieg“, – Ende der Pandemie. Eine Irreführung, Lüge, Demagogie, aus purem Machtinteresse. Weil diese Message für die meisten Menschen schöner klingt als die Wahrheit: „Wir wissen nicht, wie es weitergeht, wir sind überfordert, wir alle müssen weiter zusammenhalten, uns einschränken, wenn wir uns schützen wollen. Dieses Virus ist die größte Herausforderung seit WW2, wird uns noch lange Zeit begleiten und wir haben keine klare Antwort, wie es weitergeht.“ Das wollte niemand mehr hören, auch wenn es die Wahrheit ist, nicht einmal die Handelnden in der Politik selbst. Die Politiker, auch Menschen, waren und sind teilweise selbst völlig überfordert und konnten nicht mehr. Man dachte an die eigenen Machtinteressen und begann zu lügen: Die Bevölkerung wurde unruhig und ungeduldig, nachvollziehbar. Aber anstatt darauf Antworten zu finden, das Empfinden der Menschen zu spiegeln, ihm Raum zu geben, es anzunehmen und zu bestätigen, erfand man die irrsinnige Vorstellung vom „Ende der Pandemie“ – entgegen allen Studien und Prognosen – und der „ungefährlichen Variante“. Die Menschen nahmen dankbar an, die Politik konnte ihre Macht absichern, was ihr allererster Interesse ist. Dass all das auf einer Lüge, Misskommunikation, Irreführung gründet, die die Urheber teilweise noch selbst glauben, ist ein Faktum. Dass inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung dasselbe glaubt, ebenso.

Es wird uns allen und vor allem am jenen auf den Kopf fallen, wie es immer der Fall ist bei Verdrängung und Scheinrealitäten: Die Lüge geht eine Weile gut, aber nicht für immer. Im Vorteil werden auf lange Sicht jene sein, die den Fakten glauben, der Wissenschaft vertrauen, die sich informieren – und die stark sind und durchhalten, so schwer das auch ist und so pathetisch das auch klingen mag. An alle anderen: Fuck you.

14.4.2022

Nr. 68: Rette sich, wer kann!

Es ist vergleichsweise einfach und üblich, in Krisenzeiten und Zeiten der Überlastung auf verschiedene Verdrängungsmechanismen zurückzugreifen: Wer vom Job überfordert ist, reagiert mit Trotz, Streit mit dem Chef, lässt seinen Frust zuhause aus oder beginnt zu trinken; wer mit seiner Beziehung unzufrieden ist, treibt sich im Nachtleben herum, verliert sich in Fantasien oder beginnt eine Affäre; wer mit seinem Leben unglücklich ist, kauft sich Dinge, reist umher, zieht um, gibt Geld aus, will jemand anderer sein. All das gehört zum Leben, laut Freud sind Verdrängungsmechanismen nicht per se pathologisch oder neurotisch, sondern gehören in gesundem Ausmaß zum zentralen Repertoire des psychisch-kognitiven Apparats.

Klar, es kommt wie immer auf das Maß und Ausmaß an. Wer ein paar mal „einen über den Durst trinkt“, um seinen Gedanken oder seiner Wirklichkeit zu entfliehen, ist noch kein Alkoholiker, und gelegentliche Pausen von der Realität braucht jeder: Um gesund zu bleiben, ist es nötig, von Zeit zu Zeit aus der Zeit herauszutreten.

Wer allerdings die Verdrängung nicht zur Ausnahme, sondern zur Norm macht, ist krank.
Die reale Wirklichkeit wird ersetzt durch eine Schein-Realität, die auf den ersten Blick erträglicher wirkt (und das meist auch ist). Dieser Mechanismus ist so alt wie die Menschheit und kann mannigfaltige Formen annehmen. Gefährlich wird es insbesondere dann, wenn viele Menschen zum selben Zeitpunkt in Bezug auf die gleichen Phänomene Verdrängung und Verfälschung üben. Das Resultat sind Verschwörungstheorien und Massenverblendung, Demagogen arbeiten bewusst damit. Doch auch ohne „charismatischen Führer“ kann sich eine kollektive (Selbst)Manipulation einstellen, wenn nur genügend Menschen lange genug daran üben.

Wir beobachten diese Vorgänge seit Jahren, in gesteigerter Intensität: Den Beginn machten Rechtspopulisten mit ihren Erzählungen vom „Bevölkerungsaustausch“ und der „Überfremdung“, die Europa zerstören würden. Passiert ist bekanntlich nichts. Die nächste Stufe waren Trump und Kollegen mit unabsichtlich-absichtlicher Verbreitung von „Fake News“, „alternativen Fakten“ und Scheinwirklichkeiten, die ins eigene Weltbild passten, Macht sicherten oder persönliche Neurosen stillten. Aus der Ferne war klar: Wahnsinn, in Europa hat niemand (außer einer kleinen, im Endeffekt unbedeutenden Minderheit) den Schwachsinn geglaubt, der 4 Jahre aus dem Weißen Haus kam. In den USA sah und sieht die Lage anders aus, Nähe und Betroffenheit machen direkt betroffen und die Distanzierung umso schwerer.

Dann kam Corona: Zuerst eine Rückkehr zum Faktischen, Hören auf die Wissenschaft und empfohlene Maßnahmen, das Eingeständnis der Politik (großer Teile der Politik), selbst machtlos zu sein und Experten vertrauen zu müssen. Die Pandemie konnte so phasenweise unter Kontrolle gebracht werden.

Schon zu Beginn gab es Menschen und Gruppen, die gegen ihren Schutz (und den ihrer Mitmenschen) protestierten: Oft (aber nicht immer) waren es Rechte, Menschen, die bereits die Jahre zuvor ihr Mindset auf das Entwerfen „altenativer Realitäten“ geschult hatten, gepaart mit Schwäche und mangelnder Resilienz und Anpassungsfähigkeit. „Es kann nicht sein, dass mir jemand mein Leben verbietet!!“ – denn das Virus, den Feind, sah man ja nicht, insofern war es besonders einfach dessen Gefährlichkeit auszublenden. Würden diese Menschen auch auf die Straßen gehen und dort Partys feiern (wollen), wenn es Bomben hagelte und Menschen offensichtlich stärben, sie die Gefahr direkt SEHEN könnten? Wohl kaum. Obwohl: Der Herr im Kreml erprobt aktuell ein vergleichbares Experiment an seiner Bevölkerung.

Wie auch immer: Menschen, die zu Beginn der Pandemie so dachten uns sprachen, galten als Verharmloser, Leugner, Lügner, Idioten, und das waren sie ja auch. Vor einem Jahre bereits kam etwas ins Rutschen, spätestens seit dem Jahreswechsel 2022 ist die Meinung der Leugner mehrheitsfähig, nicht nur in der Bevölkerung, auch aufseiten der Politik. Es geschieht eine Massenleugnung und selbst induziertes Wunschdenken auf kollektiver Ebene, das aus abnehmender Resilienz und der Unfähigkeit entspringt, die Realität als das zu erkennen, was sie ist: schrecklich. In gewisser Weise ist die Mehrheit der Bevölkerung heute auf das geistige Level der Querdenker degeneriert, die vor einem Jahr noch deren erklärte Feinde waren.

Natürlich, die Lage ist jetzt eine andere als vor 2 Jahren oder vor einem Jahr: Das Virus hat sich verändert, viele Menschen sind geimpft. Doch anstatt die Maßnahmen schrittweise und vorsichtig und der Gefahr angemessen zu reduzieren, um auch an den Ansteckungs- und Todeszahlen oder dem persönlichen Sicherheitsgefühl ablesen und spüren zu können, dass sich die Lage zumindest etwas gebessert hat, musste alles niedergerissen werden. Mit Anlauf wurden Maßnahmen bis zu dem Ausmaß aufgehoben, um auf jeden Fall die selbe Krankenhausbelastung und die gleichen Todeszahlen zu garantieren, wie in den Wellen 2020 und 2021. Teilweise konnten die Zahlen sogar übertrumpft werden.

Warum das? Weil um das Jahresende 2021 mit vielen Menschen etwas passiert ist, das sich durch psychische Faktoren erklären lässt. Sie sind schlicht ge- und zerbrochen, ihre Fähigkeit, mit der Situation, der Krise, also der Realität umzugehen war erschöpft – und sie flüchteten sich in die eine oder andere Wahnvorstellungen. Der Mechanismus ist der selbe wie jener der Querdenker zu Beginn der Pandemie, die Inhalte sind ebenso die gleichen: „nur eine Grippe“, „ungefährlich“, „Freiheit“, „ich lasse mich nicht einsperren“, „schau nur nach Land xyz!“. Die weiterhin sehr reale Bedrohung wird negiert, verdrängt, indem Argumente gefunden werden, diese in Abrede zu stellen und zu widerlegen. Das Problem: Es sind Lügen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Was passiert, wenn sich große Teil der Bevölkerung belegbar falschen Deutungen der Realität hingeben, dafür gibt es in der Menschheitsgeschichte genügend Beispiele. Wer einmal mit der Lüge beginnt und ihr glaubt, kann sich schwer von ihr befreien. Wie war das mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Österreich, der Umgang mit anderen Demagogen in anderen Ländern und dem Schaden, den sie angerichtet haben? Am Ende wollte keine „dabei gewesen sein“ oder „etwas gewusst haben“.

Man kann nur hoffen, dass viele der Neo-Querdenker, die von „Freedom Day“ und dem „Ende der Pandemie“, vom „ungefährlichen Omikron-Virus“ und der „Rückkehr zur Realität“ schadronieren möglichst bald mit der Realität konfrontiert werden: Sei es durch Krankheit. Oder durch den Tod. In zweiterem Fall ist es dann halt etwas zu spät für Erkenntnis.

6.3.2022

Nr. 67: Krieg.

Krieg in Europa. Lange Zeit undenkbar, nun Realität.

Dass es so kommen musste, war jedem klar, der politische und gesellschaftliche Entwicklungen im „Westen“ der letzten Jahre aufmerksam und kritisch verfolgt hat. Dass es trotzdem eine Tragödie ist, die uns um ca. 90 Jahre in der Zeit zurückversetzt, ist ebenso klar.

Es ist Horror, Fernsehbilder zu sehen, von zerbombten Häusern, toten Menschen, in Kellern verschanzten Kindern – und das alles in unmittelbarer Nachbarschaft. Das wäre dann auch der Unterschied zu den Konflikten in Syrien, dem Irak etc., denn das ist vergleichsweise „weit weg“ und betrifft uns nicht direkt. Insofern ist es auch seltsam, wenn von einigen moniert wird, dass die Menschen hierzulande nun plötzlich Solidarität zeigen und helfen wollen, während das in Bezug auf andere Konfliktherde insb. in den letzten Jahren nicht (mehr) der Fall war. Das wäre, als würde man von Südkoreanern fordern, vom Russland-Krieg ebenso betroffen zu sein als von den Atomtests des Nachbarn im Norden. Manchmal lassen sich gewisse Dinge ganz pragmatisch erklären und nicht durch Schlagworte wie „Rassismus“ u.Ä.

Was soll man zu all dem sagen? Oft fehlen die Worte und man will, kann nichts sagen. Und muss vl auch nicht. Es wurde und wird ohnehin zu viel geredet, vA in „sozialen Medien“. Man darf auch einfach schockiert sein, sprachlos, innehalten, traurig sein und nicht mehr weiterwissen.

***

All das kostet Kraft, ein Nullpunkt ist erreicht, der unvermeidbar war. Nach null kommt eins, also Produktion und Materie, die anders aussehen wird als all das, das uns die letzten paar Jahre umgeben hat. Das muss nicht schlecht sein. Die Sonne schien zu hell und anstatt die Schatten zu sehen, die sie warf, wollten sie viele noch heller drehen. Utopie, immerwährendes Licht, Erleuchtung, Illusion. Ihre Welt bricht nun am meisten zusammen, sie werden diesen Krieg nicht überleben.

Es gibt keinen Ausweg, keine Flucht vor der Realität, Träume zerplatzen und falsche Ideologien lösen sich in Luft auf. Namen sind unwichtig, Bilder sprechen Worte und Worte sprechen Taten, die unumkehrbar sind, bis Taten wieder Worte sprechen.

21.2.2022

Nr. 65: Wahnsinn.

Die Frage stellt sich, was es bringen mag, über etwas zu schreiben, das bereits verloren ist. Die Menschheit hat sich verloren, in einem Sumpf aus Selbstverleugnung, Verdrängung und Re-Barbarisierung. Wie in allen unaufgeklärten Zeitaltern ist das den Menschen nicht bewusst, sonst würden sie sich anders verhalten. Neu ist das nicht, enttäuschend aber trotzdem, und umso gefährlicher in der aktuellen, globalen Krisenphase.

Statt Aufklärung erleben wir im Moment Verklärung, Populismus und Demagogie, die sich – wie immer – als „Heilmittel“ und „finale Lösung“ ausgeben. Aufhebung aller Corona-Maßnahmen? Bitteschön, her damit, die Pandemie ist vorbei! So nachvollziehbar der Wunsch ist, es ist schlichte Realitätsverweigerung. Man müsste nur auf die (meisten) Virologen, Mediziner, Wissenschaftler hören und wüsste, dass dem nicht so ist. Auch wenn die aktuell dominierende Omikron-Variante weniger „gefährlich“ ist, die Ansteckungszahlen sind immer noch hoch wie nie, die Krankenhausbelegungen verschieben sich von der Intensiv- in die Normalstationen, die überfüllt sind, die Todeszahlen sind hoch. Erkenntnisse aus Ländern wie Israel und Dänemark – mit nachweislich hohen Impfquoten – zeigen, dass bei Aufhebung der Maßnahmen die Zahlen weiter nach oben gehen, die Hospitalisierungsraten und Todeszahlen Rekordwerte erreichen. Was ist daran „besser“, nur weil es durch eine weniger gefährliche Mutante zustande kommt?

Außerdem ist es ein Trugschluss, davon auszugehen, dass alle kommenden Virus-Varianten nun „immer harmloser“ werden. Wir erinnern uns: Die ursprüngliche Variante zu Beginn der Pandemie war weniger ansteckend und letal als die folgende Delta-Variante, ebenso kann die kommende gefährlicher sein als die nun vorherrschende Omikron-Variante. Es gibt keine Gesetzmäßigkeit zur regressiven Mutation von Viren, der nächste Sand, der den Menschen in die Augen gestreut wird. Die nächste Welle kommt sicher, spätestens im Herbst, und dass überbordender Leichtsinn im wahrsten Sinne des Wortes tödlich ist, haben wir letzten Herbst gesehen, als davor auch so getan wurde, als sei es „nun vorbei“. Und das bei weitaus geringeren Infektionszahlen.

Mit Vollgas auf den Abgrund zu: Das ist keine Panikmache, sondern Realität. Die Menschen laufen dankbar nach, illusorische Freiheit ist für viele erträglicher als Realität und mit der Anerkennung derselben verbundene Selbstbeschränkung. Dass Staaten der Reihe nach (alle) Maßnahmen aufheben (also kapitulieren), ist nur auf der ersten Blick ein Werkzeug, das „Vertrauen“ in die Politik wiederherzustellen. Anstatt des Richtigen wird das als richtig Empfundene getan, die Abkehr vom Faktischen und der kollektive Absturz in „alternative Wahrheiten“. Trump hat es vorgemacht.

Am Ende bleibt keine Hoffnung mehr. „If you can’t make it, fake it.“ Falsche Hoffnungen werden geschürt, Opium für das Volk, um zu überleben. Die Krisen-unerprobten post-Krieg-Generationen zerbrechen an nicht vorhandener Resilienz, statt (darwinistischer) Anpassungsleistung wird Abwehr und Verdrängung geübt. Das mag auf den ersten Blick die einfachere, angenehmere Lösung sein, auf Dauer ist es katastrophal. Spätestens mit der nächsten Virus-Welle folgt die Konfrontation mit der Realität, dann wird es aber schon zu spät sein. Es heißt, „die Hoffnung stirbt zuletzt“. Sie ist bereits gestorben. Die Frage bleibt, was nach der Hoffnung kommt?

16.6.2021

Nr. 59: Verloren.

Ich sehe, dass der letzte Eintrag hier 1.5 Monate her ist. Macht Sinn. Warum seitdem nichts mehr? Weil ab dann absehbar war, dass tatsächlich Öffnungsschritte kommen würden bzw. diese auch tatsächlich kamen. Alleine mit der Perspektive änderte sich das Empfinden, da es eine gab. Nachdem die Perspektive zur Realität geworden war, unternahm ich ganz gezielt mehreres Sachen, um mich selbst zu therapieren, die Tanks wieder zu laden, die Corona-Depression von davor zu kurieren. Das hat ganz gut geklappt, seit mehreren Wochen ist die Stimmung spürbar besser. Nicht mehr jeder Tag fühlt sich wie ein Überlebenskampf an, ein Strampeln gegen das Ertrinken.

Und trotzdem: Irgendetwas ist anders. Es ist nicht wie davor. Auch nicht wie letzten Sommer. Zu viel ist passiert. Privat viel Gutes, und wer weiß, wie es mir ginge ohne dem. Aber abgesehen davon: Alles Mist. Erst keine Arbeit, dann wenig, dann mehr, aber keine Motivation, weil vieles weiterhin unklar. Die Menschen am Ende, durchgedreht, jene, die das nicht schon während des letzten Mega-Lockdowns getan hatten, machen es jetzt. Kein Diskurs mehr, kein Respekt, kein Anstand, nur Hass – zu sehen selbst bei unserer „Führung“, der Spitze des Staates, der Politik. Ein Trauerspiel.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, von dieser Verrohung, diesem Rückfall in die Barbarei, auf allen Ebenen. Man kann sich nur abwenden. Es ekelt mich. Es ist alles egal. Warum noch Würde bewahren? Schauspielerkollegen, die sich gegenseitig die Pest an den Hals wünschen, weil der andere Dinge etwas anders sieht. Wo ist die Toleranz, die so viele (scheinbar) predigen? Wasser predigen und Wein flaschenweise trinken. Ein Graus.

Die Gesellschaft ist zerfressen von Missgunst, Hass, Egoismus, Narzissmus, niemand tut etwas dagegen, alle sehen dabei zu. Soll man das verstehen können? Wegen der Krise geht es keinem gut, post-Corona-Depression, was auch immer? Aber wer steht auf, wer führt und leitet durch gutes Beispiel? Nicht die Politik, die hat versagt. Vielleicht nicht bei der Bekämpfung der Krise, aber bei der Vorbildfunktion.

Es ist deprimierend, die schönsten Blumen können nicht wachsen auf verdorbenem Boden, zwischen Unkraut. Blumen, das sind Hoffnung und Leben, das andere die Realität.

***

Was wird verloren sein? Was wird nie mehr zurück kommen? Was ist kaputt gegangen? Vieles, vieles. Wer baut es wieder auf, wer bringt es zurück? Niemand. Lost Generation.

26.4.2021

Nr. 58: Emotio.

Ich wusste nicht, ob ich heute etwas schreiben würde, und worüber. Die #allesdichtmachen-Geschichte scheint mir auserzählt und langsam kriegen sich die Leute wieder ein, und ich muss mich da nicht immer mit so schwerem Zeugs befassen. Mir wird öfter gesagt, ich wäre zu rational, zu kontrolliert, zu „kalt“, wobei ich nicht sicher bin, ob das nur mit mir zu tun, oder auch mit anderen. Jedenfalls aber fällt es mir schwer, Emotionen zu zeigen, bevor ich etwas sage, denke ich nach, und Emotionen werden erst kommuniziert, wenn sie intern beachtet und betrachtet worden waren. Das ist mühsam, aber auch vernünftig, aber auch etwas lebensfremd.

Kontrolle ist das Stichwort, und kontrollieren können, auch sich selbst, ist wunderbar. „Kontrolliert“ heißt das, wiegt einen in Sicherheit, hebt einen über andere, die ihren Emotionen ausgeliefert sind, wie Tiere. Instinkte. Oder so. Oder echt? Ich weiß nicht, ich kann meine Ideale ideengeschichtlich und philosophisch begründen, stört es MICH denn, leide ich darunter? Nicht wirklich. Leiden andere darunter? Ich weiß es nicht, möglich, zeitweise. Mir scheint das Problem zu sein, dass jemand, der sein Leben mit der ratio steuert, wenig fühlt, wenig Negatives, aber auch wenige Positives. Das mag ein Problem sein.

**

Warum diese Gedanken vorweg? Ich weiß es auch nicht, nur so, weil ich schreiben möchte, und meinen Gedanken freien Lauf lasse. Loslassen, Kontrolle abgeben, nicht alles muss klug und perfekt und vollendet sein, nein. Wie bin ich eigentlich auf das Thema gekommen? Ich vermute, aufgrund der Frage, wie ich mit der Corona-Krise umgehen soll, die ich mir stelle und sich immer mehr Menschen stellen. Es ist frustrierend, deprimierend, beschissen, fatal, traurig, furchtbar, schrecklich und zu viel. Alles. Die Gefahr, die allerdings haben wir inzwischen ganz gut unter Kontrolle, ich sorge mich wenig darum. Zu viel ist mir, dass wir kein Leben mehr haben, kein Leben wie davor, keine Möglichkeiten, aktiv das Leben zu gestalten, nach draußen zu gehen, Initiative zu zeigen, unsere Spuren in der Welt zu hinterlassen. Denn wir sind eingesperrt, zu Hause, alles ist auf Stopp, nichts geht, nichts geht, nichts geht. Müde, tot, Ende, fatal, träge, müde, nichts, besiegt?

Emotion, ich versuche, nicht das zu sagen, was klug, richtig, wichtig ist oder richtig ankommt, sondern das, was ich fühle. Es ist OK, dass ich das fühle. Ich. Ich. Und niemand sonst. Und ich muss mich nicht darum kümmern, was andere fühlen. Nein. Nicht.

Wie geht all das weiter? Ich weiß es nicht, und ich muss es nicht wissen. Ich mache das Beste draus, ich probiere, nehme an, was ich habe, tue, was ich tun kann, flüchte, wenn ich flüchten kann, genieße, wenn ich genießen kann. Aber darf auch leiden, liegen, verzweifeln, müde sein, genug haben, wütend sein und all das hassen. Das ist auch OK. Solange das OK ist, kann nichts passieren.