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Ich hatte in den vergangenen Tagen einige alte Freunde kontaktiert, per Mail oder per Telefon / SMS. Einige meldeten sich zurück, von anderen hörte man nichts. Die Facebook-Seite eines alten Schulfreudnes, den ich auf diesem Wege kontaktieren wollte, zeigte „in memoriam“ an – er war also verstorben. Ob am Virus oder durch Suizid an dessen Nebenwirkungen war nicht bekannt. Ein Freund, den ich am Telefon erreichte, schrie 10 Minuten in den Hörer, faselte etwas von einer „großen Weltverschwörung“, um die Menschheit per Maskenpflicht zu unterjochen. Ich bedankte mich für das Gespräch und legte auf. Eine weitere Freundin, eher vernünftig, schrieb mir, dass es ihr soweit gut ginge, sie aber auch nur von Tag zu Tag denken konnte, und mit Mühe täglich versuchte, das Fensterbrett nicht als Sprungbrett zu nutzen.

Es war gut, andere Stimmen zu hören, doch spätestens nach einigen Stunden kehrte dieses Gefühl der beklemmenden, all umfassenden Isolation wieder zurück, dass sich inzwischen zu einer ernsthaften psychischen Krankheit gesteigert hatte. Ich hatte bereits morgens Selbstmordgedanken, wollte schon um 9 zu trinken beginnen (ich versuchte, immer erst ab 1 damit anzufangen) und rauchte inzwischen eine Packung Zigaretten am Tag. Ab und an ritzte ich meine Haut, um zu spüren, ob ich noch lebte.

Die einzige gute Nachricht: Offenbar war es gelungen, durch die konsequenten Maßnahmen die Ausbreitung des Virus zu stoppen, wodurch es immer weniger Infizierte gab, und die Politik darüber nachdachte, gewisse Lockerungen zu erlauben: Spazierengehen untertags zu bestimmten Zeiten (15:00 – 17:00), die Öffnung diverser Lokale für eine Stunde pro Tag, und so weiter. Besonders lustig fand ich die fieberhafte Überlegung, ob und wie man „Sexarbeit“ wieder ermöglichen könnte: Angedacht war eine Regelung, die man von Peep-Shows kennt: Prostitierten sollte es erlaubt sein, sich hinter einer Glasscheibe zu räkeln, während der „Freier“ dem Treiben durch die Scheibe zuschauen und beiwohnen durfte. Für das Putzen der Scheiben musste eigenes Desinfektionsmittel angewendet werden. Auch überlegte die Politik, ob und wie man der Bevölkerung wieder erlauben sollte, sich mit Fremden zu treffen. Denn Studien ergaben, dass über 90% aller Suizide von Singles begangen wurde, wenn sich Abschiedsbriefe fanden stand oft etwas drinnen von „ich halte dieses Alleinsein nicht mehr aus!!“ oder „4 Monate ohne Sex sind genug!“ und so weiter. Man wollte also im Sinne der Allgemeinheit „Datingregeln“ erlassen, da nicht jeder das fragwürdige Glück hatte, auf immunisierte Irre zu treffen. Treffen im Freien sollte erlaubt werden, allerdings nur zwischen 18 und 20 Uhr. Spazierengehen war erlaubt, Umarmen auch, allerdings nur mit Maske, gemeinsame Besuche in den geöffneten Lokalen ebenso. Dann wurde es kompliziert: „Es ist davon auszugehen, dass eine gewisse Prozentzahl dieser staatlich legitimierten Sozialtreffen zu dem gemeinschaftlichen Wunsch führen, Geschlechtsverkehr auszuüben. Zu diesem Zwecke ist auf Folgendes zu achten: 1. GV nur mit Mund- und Penisschutz. 2. Küssen ist untersagt. 3. Stellungen, die eine besondere Nähe des Gesichtspartien der beiden Korpulierenden erfordern, sollen vermieden werden, wenn möglich. Die Regierung empfiehlt Verkehr in einer Position, die weithin als „Doggy-Style“ bekannt ist, oder Analsex, wobei der Frau empfohlen wird, sich besonders weit nach vorne zu beugen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Homosexuelle Paare mögen diese Vorgaben entsprechend für ihre Bedürfnise adaptieren.“ – Dieser geplante Gesetzestext aus Regierunsgkreisen wurde geleaked und ging als „Vekehrsberuhigungsverordnung“ in die Medien ein.

„Aufzeichnungen aus dem Loch“ ist eine fiktive Kurzgeschichte, die kapitelweise erscheint. Die Kapitel 1-9 lassen sich HIER nachlesen.

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